1. Jungfrau, Mutter, Schmerzensreiche,
sieh wir blicken auf zu Dir
schauen Deines Sohnes Leichnam
ruhend in dem Schoße Dir!
2. Bist so ganz in Schmerz versunken,
siebenfach durchbohrt dein Herz,
hast den Kelch zur Hef getrunken
Königin der Märtyrer
3. Doch Du hast es überwunden
thronest nun im Himmelssaal
spendest Gnaden aus in Fülle
hier in dieses Erdental.
4. Hast auch dieses heilge Plätzchen
Dir zur Gnadenstätt erwählt,
wo schon manche Trän versiegte,
mancher Kummer aufgehört
5. Wo mit mitleidsvollen Armen
Sünder, die in Reu gerührt.
hat Dein mütterlich Erbarmen
Jesus oft schon zugeführt.
6. Sieh auch uns zu deinen Füßen,
gnadenvolle Mutter du,
hast den Kelch zur Hef getrunken
Lass uns unsre Sünden büßen
und hier finden Seelenruh
7. Lass an Deinem Herz ausweinen
tiefen Kummer, stilles Weh;
hilf, wo jede Hilf vergebens;
blick erbarmend aus der Höh‘.
8. Ist ja hier der Born des Lebens,
unerschöpflich gnadenreich.
Lass auch uns an ihm gesunden,
ewig einst bei Jesus sein.
Dieses Heiligenbronner Wallfahrtslied wurde laut der Klosterchronik von Sr. M. Margaretha Sonntag aus Weingarten verfasst. Sie ist am 18. Oktober 1857 als 13. Schwester in die junge Gemeinschaft eingetreten und hat bis zu ihrem Tod am 12. Dezember 1877 im Kloster Heiligenbronn gelebt.
Trotz der „alten Sprache“, die uns vielleicht etwas Schwierigkeiten macht, kann uns dieses Lied helfen, in die Begegnung mit Maria und ihrem Sohn Jesus zu kommen.
So lädt das Lied uns ein, auf Maria zu schauen, die ihren toten Sohn im Schoße liegen hat. Es ist sicher mit das größte Leid, wenn Eltern ihre Kinder zu Grabe tragen müssen. Maria ist uns in unserem größten Schmerz nahe als Trösterin und Fürbitterin.
Das haben viele Menschen in Heiligenbronn schon erfahren und davon zeugt auch das Wallfahrtslied.
Zuerst lässt es uns in den ersten drei Strophen Maria betrachten. Sie steht sicher am Tiefpunkt ihres Lebens. Dieser Sohn, den ein Engel ihr verkündigt hat, den sie in Bethlehem zur Welt brachte unter widrigen Umständen, den sie aufwachsen sah, dessen Worte und Taten sie im Herzen bewegte, dieser Sohn liegt nun tot in ihrem Schoß. Sie ist im Schmerz versunken, in der Erinnerung an all das, was sie mit ihm erlebt hat, Freude, Leid, Unverständnis, Sorge, Schmerz, Fragen, Zweifel, Angst. Sie ist diesem Leid nicht ausgewichen, sondern stellt sich dem Unausweichlichen, dem Scheitern, dem Schmerz, dem Tod. Und doch glaubt sie weiter, vertraut darauf, dass dieser Tod nicht das Ende ist, sondern Gott noch eine Antwort geben wird. Ihr Glaube über den Tod hinaus kann auch uns ermutigen, nicht aufzugeben in aussichtslosen Situationen.
Die beiden folgenden Strophen sprechen davon, dass ihr Weg, ihr Glaube fruchtbar wurde für uns. Diese Fruchtbarkeit und Wirksamkeit zeigt sich ganz konkret an ganz konkreten Orten. Ein Ort dieser Fruchtbarkeit – ein Ort der Gnade – ist Heiligenbronn geworden und das schon seit dem 14. Jahrhundert. Menschen wird hier das Angebot gemacht, die Gnade geschenkt, sich ihrer Wahrheit zu stellen – ihrem Schmerz, ihrem Leid, aber auch ihrer Schuld. Wer dieses Angebot annimmt, erfährt Trost und Frieden. Dafür zeugen die vielen Tafeln in der Gnadenkapelle.
Alle, die dieses Lied singen und beten, werden nun in den Blick genommen, dürfen eintreten in die Beziehung zu Maria und ihren Sohn. Wir dürfen eintreten in den Glauben und Vertrauen vieler Menschen vor uns, die an diesem Ort Frieden und Heil gefunden haben. Wir dürfen Sie konkret um Fürsprache bitten in den tiefsten Nöten und Anliegen unseres Lebens. Und auch wir werden Trost und Frieden erfahren.
In diesem Bild schauen wir auf das Werk der Erlösung. Jesus ist den Weg des Leidens bis zum Schluss gegangen. Es ist vollbracht. In IHM ist das Unheil, die Sünde besiegt. Wer auf IHN vertraut, wird durch alles Leid hindurch die Kraft der Auferstehung erfahren – nicht erst in der Ewigkeit, sondern schon jetzt.
Vor diesem Bild haben in den letzten 150 Jahren auch viele Generationen von Schwestern gebetet und die Not und das Leid der Welt der Mutter Jesu anvertraut: Krieg: Terror, Unheil. Bis heute beten wir aber auch für die Nöte der Menschen, die uns ums Gebet bitten: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Beziehungskrisen, Ungerechtigkeit, Verfolgung. Möge ihre Fürsprache uns immer neu bereiten für die Begegnung mit Jesus Christus.
Sr. M. Dorothea Thomalla